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Hybris

HYBRIS ist eine kunstbasierte Forschungsinitiative, die eine neuartige Methode zur Umnutzung von Abfall in Kunst und Baumaterialien präsentiert. Seit 2019 erforscht Yana Zschiedrich dieses Konzept, indem sie Mehlwürmer als skulpturale Unterstützung nutzt und expandiertes Polystyrol in biologisch abbaubare Materialien umwandelt, die Sand in einem neuen Baumaterial für nachhaltige Architektur ersetzen können.
Innerhalb dieser Forschungsinitiative setzt sich Zschiedrich außerdem mit einer umfassenden Themenwelt wie Anthropozentrismus, Rache und Ökofeminismus auseinander, dabei lässt sie sich besonders von renommierten Wissenschaftlerinnen wie beispielsweise Donna Haraway inspirieren.

Porträt der Künstlerin Yana Zschiedrich

Yana Zschiedrich, geboren 1987 in Ludwigshafen am Rhein, lebt und arbeitet in Leipzig. Mit einem Hintergrund in Innenarchitektur von der Burg Giebichenstein Kunsthochschule und einem Studium der Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, erkundet sie in Ihrer Arbeit die Schnittstelle zwischen Kunst, Architektur und Nachhaltigkeit. Als Meisterschülerin von Prof. Joachim Blank fokussiert sie sich auf die Verbindung von Konzept und Materialität in ihren künstlerischen Ausdrucksformen.

yana.zschiedrich@gmail.com
@yanazschiedrich

Ausstellungen

07/2023
Deutsches Museum, D-München, Festival der Zukunft, Group Show

05/2023
HilbertRaum, D-Berlin, Traffic Control, Group Show

12/2022
Studio12 Spinnerei, D-Leipzig, What We All Want, Group Show

04/2021–05/2021
Gr_und Galerie, D-Berlin, Non.Depleted, Group Show

09/2020
Westpol A.I.R.space e.V., D-Leipzig, HYBRIS, Solo Show

11/2019 – 01/2020
a&o Kunsthalle, D-Leipzig, We All Should Be Lichens, Group Show

05/2019 – 06/2019
TAF Theartfoundation, GRC-Athen, HUMAN PARTICLES OF THE LIVING SUN, Group Show

06/2016
Contemporary Art Ruhr, D-Essen, Archive of no tomorrow, Group Show

02/2014
AIT Architektur Salon, D-Köln, Group Show

SAMMLUNG

seit 05/2024
FUTURIUM gGmbH, D-Berlin

Auszeichnungen / Stipendien

07/2024–12/2024
Projektstipendium Künstler:innenhaus Schloss Balmoral

10/2021–06/2024
Landesgraduiertenförderung, Sächsisches Landesstipendium

2022
Gewinnerin Wettbewerb „Artist in Lab“ des Fraunhofer WKD

11/2020 & 12/2020
Arbeitsstipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen im Rahmen des Programms „Denkzeit“

05/2014 –05/2015
AIT Stipendium 2014 der Sto-Stiftung

Publikationen

03/2021
Leipzig, HYBRIS23, publiziert von Yana Zschiedrich & Fraunhofer WKD

02/2023
Jahresmagazin No.11, Dresden, publiziert vom Landesverband Bildende Kunst Sachsen e.V.

03/2021
D-Leipzig, HYBRIS20, publiziert von Yana Zschiedrich

11/2020
HGB Leipzig, Leipzig, Human Particles of the Living Sun, publiziert von Joachim Blank

10/2015
AIT Büro und Verwaltung · Office Buildings

07/2014
AIT Wohnen · Living

Impressum

HYBRIS
Yana Zschiedrich

website und gestaltung

Distaff Studio in Zusammenarbeit mit Jonas Holfeld

Programmierung

Jonas Holfeld

FOTOS

Yana Zschiedrich
Julius C. Schreiner
Marco Dirr

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Installation

Hyb.Instal.2020.01

Bildhauerisches Labor und halbautomatisierte Zuchtmaschine, welche die Versorgung der Mehlwürmer sicherstellt.

Bildhauerisches Labor und halbautomatisierte Zuchtmaschine, welche die Versorgung der Mehlwürmer sicherstellt.

„Die Hybris, die uns versuchen läßt, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns dazu, unsere gute Erde in eine Hölle 
zu verwandeln“ (Popper, Karl)

Ein humanzentrisches Weltbild, die Verdammung der Natur und deren Kontrolle durch eine halbautomatisierte ­Maschine, die den bildhauerischen Akt von Mehlwürmern kontrolliert – Mehlwürmer, die Polystyrol-Dämmplatten formen und zersetzen und dabei eigentümlich amorphe Skulpturen sowie verdaute Rückstände hervorbringen.

Ein Kilogramm Mehlwürmer leben und arbeiten in der Zuchtkiste. Sie ernähren sich hauptsächlich von Styrodur und graben sich je nach Darreichungsform darin ein.
Ein Kilogramm Mehlwürmer leben und arbeiten in der Zuchtkiste. Sie ernähren sich hauptsächlich von Styrodur und graben sich je nach Darreichungsform darin ein.
Die Zyklonsaugstation saugt die verbrauchte Luft und den Kot aus der Zuchtkiste ab, trennt sie und filtert sie.
Im Vordergrund: Zyklonabsaugung, Futterautomat und Futtervorrat, im Hintergrund: verkabelte Zuchtkiste.
Uhrwerkfütterer, Kompressor und Timerboard sorgen für eine ­regelmäßige und flächendeckende Zufütterung in der Zuchtkiste, um Mangelernährung zu vermeiden.
Die Schaltzentrale und Frischluftstation der Zuchtkiste. Bei hohen Temperaturen dient der Frischluftbehälter zur Kühlung des Innenraums. Ein Temperaturfühler überwacht die Raumtemperatur und aktiviert die Heizmatte, wenn die Temperatur unter 20 °C fällt. Wenn die Raumtemperatur steigt, wird der Ventilator wieder eingeschaltet.
Die Schaltzentrale kontrolliert die gesamte Insektenfarm. Hier sind die Schaltmodule untergebracht, die die Instrumente steuern.
Der Luftbefeuchter ist über einen Wasserschlauch mit dem Wassertank verbunden, um sicherzustellen, dass der Wasserpegel auch während der Verneblung nicht sinkt. Das Gerät wird von einem Luftfeuchtigkeitssensor mit Schaltfunktion gesteuert, der in der Zuchtkiste angebracht ist. Wenn die Luftfeuchtigkeit unter 50 % fällt, schaltet das Modul den Luftbefeuchter ein. Sobald die Luftfeuchtigkeit 50 % erreicht, wird der Vernebler ausgeschaltet.
Siehe auch: Hyb.R.2020.07-08
Hyb.R.2020.07-08

Untere Platte, die 3 Wochen lang von einem Kilogramm Mehlwürmern bearbeitet wurde, im Vergleich zur oberen Platte, die lediglich 7 Tage lang bearbeitet wurde.
Hyb.R.2020.07-08

Das bildhauerische Endergebnis zeigt die von Mehlwürmern bearbeiteten Styrodurplatten, die vorzeitig aus dem Zersetzungsprozess entfernt wurden.
Siehe auch: Hyb.Mat.2020.01
Hyb.Mat.01.2020

Gepresste, eingeschweißte und vakuumierte Kotpellets.
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Relief

Hyb.R.Myth.2021-2022

Hyb.R.Myth.2021.01  Das Relief im Prozess: Mehlwürmer fressen sich entlang einer Schablone in das Dämmmaterial. Die Fraßdauer variiert von Platte zu Platte. Rechts: fünf Tage, Mitte: zehn Tage, Links: noch unbearbeitet. Je länger die Fraßdauer, desto tiefer und ausgeprägter sind die Konturen.

Hyb.R.Myth.2021.01

Relief im Prozess: Mehlwürmer fressen sich entlang einer Schablone in das Dämmmaterial. Die Fraßdauer variiert von Platte zu Platte. Rechts: fünf Tage, Mitte: zehn Tage, Links: noch unbearbeitet. Je länger die Fraßdauer, desto tiefer und ausgeprägter sind die Konturen.

Kontrolle, Läuterung und Transformation – auf Hybris folgt zwangsläufig Nemesis! Mehlwürmer werden zu Schöpfern von Reliefs, die von kraftvollen Racheakten weiblicher Protagonistinnen aus der griechischen Mythologie erzählen.

Hyb.R.Myth.2021.01: Aus dem starken Grabverlangen der Mehlwürmer resultieren tiefe Furchen und Löcher im Dämmmaterial. Je länger das Material dem Fraßprozess ausgesetzt ist, desto unregelmäßiger und amorpher wirkt es.
Hyb.R.Myth.2021.01

Aus dem starken Grabverlangen der Mehlwürmer resultieren tiefe Furchen und Löcher im Dämmmaterial. Je länger das Material dem Fraßprozess ausgesetzt ist, desto unregelmäßiger und amorpher wirkt es.
Hyb.R.Myth.2021.01

Nemesis, die griechische Göttin der Vergeltung und des gerechten Zorns, sorgt für Ausgleich und Rache bei übermäßigem Stolz. Als Tochter der Nyx, der Göttin der Nacht, bestraft sie Hochmutige mit ihrem eisernen Zepter. Nemesis verkörpert Gerechtigkeit und das Streben nach Ausgleich in der griechischen Mythologie.

Rache

Aus der Antike bekannte Rachedämonen, Rachegöttinnen und Personifikationen von Vergeltung und Recht sind allesamt weibliche Figuren. Beispielsweise waren die Göttinnen des Olymp für ihre Intriganz bekannt und dafür ihre Feinde und Feindinnen in skurrile Situationen zu manövrieren, aus denen es kein Entkommen gab. Rache galt in der Antike als Angelegenheit der Frauen.

Der Glaube daran, dass Frauen für einen furchtlosen Helden keine Gefahr darstellen könnten, hat viele männliche Figuren der mythologischen Geschichte ins Unglück gestürzt. Ein Beispiel dafür ist Samson, der die drei brutalen Anschläge auf sein Leben als ein Spiel betrachtete, das seine Geliebte Delila mit ihm trieb.

Der Mann, der sich im Kampf Mann gegen Mann als unbesiegbar erwiesen hat, scheitert im Duell gegen die Frau. Die Ursache hierfür ist, dass Männer oft einem trügerischen Urteil erliegen, das auf der Annahme beruht, dass Frauen schwach, lieblich und ohne Haltung seien. Dieses Bild wird systematisch verbreitet und führt zu der Fehleinschätzung, die die Fähigkeiten und Stärken von Frauen betrifft.

Schon die antike griechische Gesellschaft schränkte die soziale und rechtliche Stellung von Frauen stark ein, da sie im juristischen Sinne weder rechts- noch geschäftsfähig war. Erst durch die Heirat mit einem Bürger von Athen erhielt eine Frau den Status einer Bürgerin und damit verbunden auch gewisse Rechte und die Möglichkeit zur Teilhabe an politischen Entscheidungen.

Durch geschlechtsspezifische Erziehung und gesellschaftliche Rollenerwartungen sowie Benachteiligungen von Frauen in Ausbildung und Beruf wird kriminelles Verhalten bei Frauen weniger häufig beobachtet als bei Männern. Diese Unterschiede sind nicht verwunderlich, da Frauen in vielen Kulturen immer noch sozialen Kontrollmechanismen unterliegen, die auch kriminelle Handlungen verhindern oder einschränken. Diesen Mechanismen unterlagen Frauen auch schon in der Antike. Nur unter besonderen Umständen, die das Zusammenwirken mehrerer Faktoren erforderten, brachen Frauen mit diesen Normen und griffen selbst zu Handlungen der Rache. Auch heutzutage beobachtet man, dass Frauen sich eher in Krankheiten oder Depressionen flüchten, als Straftaten zu begehen. Unter spezifischen Bedingungen und Verhältnissen können Frauen jedoch ihre Aggressionen gegen die Verursacher:innen richten, die diese ausgelöst haben, statt wie üblich gegen sich selbst1 .

  • 1
    Wilhelm, 2014.
Hyb.R.Myth.2022.01

Nachbildung Sarkophag mit Darstellung der Amazonomachie, Achilles und ­Penthesilea, entstanden um 200.
Hyb.R.Myth.2022.02

Nachbildung Athene, Gigantenfries des Pergamonaltars, 2.Jhd. v. Chr.
Hyb.R.Myth.2022.03

Abbildung Bildnis Medea auf Sarkophag, entdeckt in Rom, vor der Porta San Lorenzo (Porta Tiburtina), 1887.
Hyb.R.Myth.2022.04

Nachbildung „Persecution of Orestes“ des Malers Johann Gottfried Schadow

Hyb.R.2020.07-08

Zwei Reliefs in unterschiedlichen Größen, die von jeweils 1kg Mehlwürmern bearbeitet wurden.

Die ersten bildhauerischen Ergebnisse geben Aufschluss über die Arbeitsweise der Larven. Während der Bearbeitung der Reliefs durch die Mehlwürmer werden verschiedene Parameter festgehalten, darunter Raumtemperatur, Futterzufuhr, Anzahl der Mehlwürmer in Kilogramm sowie Größe und Dicke der Platte.

Hyb.R.2020.07-08

Untere Platte, die 3 Wochen lang von einem Kilogramm Mehlwürmern bearbeitet wurde, im Vergleich zur oberen Platte, die lediglich 7 Tage lang bearbeitet wurde.
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Material

Hyb.Mat.2024.01–20

GEOBRIS

Geobris ist ein Baustoff, der aus Asche gewonnen wird, die aus Mehlwurmkot stammt. Diese Asche wird dann mit einem geopolymerbasierten Bindemittel verbunden. Der Baustoff könnte eine nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Baumaterialien darstellen und zur Reduzierung von Abfall sowie zur Förderung der Kreislaufwirtschaft beitragen.

Hyb.Mat.Geo.2024.01-20

Yana Zschiedrich baut auf den ersten Versuchen des Fraunhofer IBP auf und führt sie zur erfolgreichen Rezeptur weiter. Aus zahlreichen Experimenten entsteht schließlich die Mischung GEOBRIS.

Hyb.Mat.2022.01

Röntgenaufnahme einer Probe des Gemischs aus Mehlwurmkot und EPS-Staub.

Analyse
Röntgenaufnahme einer Probe des Gemischs aus Mehlwurmkot und EPS-Staub.

Problemstellung: Styrodur ist der gebräuchliche Markenname für extrudiertes Polystyrol (XPS), welches als Hartschaumplatten oder als Außen­dämmung von Kellerwänden Verwendung findet. Das geschäumte Polystyrol mit dem Markennamen Styropor wird vorwiegend in Wärme­dämmver­bundsystemen (WDVS) eingesetzt. ­Jährlich werden allein in Deutschland 300.000 Tonnen ­Styropor produziert. 
Der Bestandteil Polystyrol ist in reiner Form chemisch recycelbar. Form­teile und Füllstoffe aus Verpackungen wie beispielsweise bei Elektrogeräten erfüllen die Materialreinheit. Styropor als Dämmstoff jedoch wird mit bromhaltigen Flammschutzmitteln bearbeitet, dadurch treten beim Recycling große Probleme auf. Nur ausgesuchte Müllverbrennungs­anlagen mit besonderer Genehmigung dürfen Poly­styrol mit Flamm­schutz­mitteln verbrennen. Styrodur wird durch diese thermische Behandlung komplett vernichtet, jedes im Dämmstoff ­enthaltene Kohlenstoffatom wird dabei in ein CO₂ -­Molekül umgewandelt. Daher ist diese Behandlung mit einer hohen CO₂ Frei­setzung verbunden, das Material ist danach nicht mehr nutzbar. Im Rahmen von HYBRIS wird es weiterverwertet, ­indem das Styropor in einer anderen Form wieder in den Bau­stoff­­kreis­lauf zurückgeführt wird.

Zielsetzung
Wissenschaftliche Zielsetzung
Im Jahre 2015 kam in den USA die Idee auf, Polystyrol biologisch zu behandeln und mithilfe von Mehlwürmern fressen zu lassen, jedoch wurde diese Idee nie großtechnisch umgesetzt. Es blieb auch die Frage stehen, was mit den entstandenen Mehlwurm-Ausscheidungen geschehen soll.
In diesem Projekt soll nun genau diese Frage beant­wortet werden. Die Mehlwürmer wandeln die bromhaltigen Styrodur-Dämmstoffe in ein unproblematisches Produkt um, für welches Anwendungen in der Bau­industrie als auch in der Kunst, z.B. als Ausgangs­stoff zur Her­stellung von Skulpturen gefunden werden sollen. Damit ließe sich ein Teil der Styropor­abfälle die jährlich tonnenweise anfallen und bisher nur thermisch entsorgt werden dürfen, wieder sinnvollen Verwertungsmög­­lich­keiten zuführen. Die Styrodur-Umwandlung durch die Mehlwürmer ist sogar bei Raumtemperatur möglich, optimale Be­dingungen herrschen bei einer Temperatur von 20°C und 50 % Luftfeuchtigkeit, wobei im Gegensatz zur Verbrennung von Styrodur weniger CO2 entsteht, da ein Teil des Kohlenstoffs in Biomasse gebunden wird.
Primär werden zwei Ziele verfolgt: zum einen soll eine biologische Lösung zur Aufbereitung von Styrodur-­Dämmstoffen gefunden werden, dabei wird versucht die durch die Bakterien im Verdauungs­trakt der Mehl­würmer entstandenen Ausscheidungen nach einer ­Pelletierung als granulierter Zuschlag für einen Leicht­beton zu nutzen, sodass ein neuartiger Recycling­bau­stoff entsteht. Als zweites Ziel soll untersucht werden, ob die staubartigen Mehlwurm-Ausscheidungen als Füllstoff in einem zementfreien Bindemittel II, einem sog. Geopolymer dienen können.

Künstlerische Zielsetzung
Durch das Zusammenbringen von unterschiedlichen Bindemitteln und dem Kot von Mehlwürmern werden innovative Materialien erzeugt, welche als Baustoffe oder als Leichtzuschlag genutzt werden können. Mit diesen Baustoffen ist es möglich, Skulpturen zu erschaffen, die durch unterschiedliche Fertigungs­pro­zesse geformt werden können.

Rolle des Fraunhofer IBP
Dr. Volker Thome leitet am IBP die Abteilung „Mineralische Werkstoffe und Baustoffrecycling“ und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Baustoffentwicklung. Für „Hybris“ werden von seiner Abteilung Labor- und Messzeiten für die im Projekt benötigten Geräte wie Mikro-Computer-Tomograph, Röntgenanalysen, mechanische Prüfungen und Mischer mit Pelletierteller bereitgestellt.

Potential zur Transformation ­bestehender gesellschaftlicher Begrenzungen 
Weitblick
Wird Polystyrol-Dämmmaterial in Müllverbrennungs­anlagen thermisch behandelt, werden dabei große ­Mengen an CO2 freigesetzt. Enthaltene bromhaltige Flammschutzmittel I werden an die Luft abgegeben und ge­langen in die Umwelt. Verklebte Dämmplatten dürfen nicht verbrannt werden und müssen deponiert werden. Die Halbwertszeit von Polystyrolen beträgt ­allerdings ca. 5000 Jahre.
Es entsteht aus einem porösen Dämmstoff ein Bau­stoff mit einer höheren Druckfestigkeit als Styrodur, indem die Ausscheidungen der Mehlwürmer eingesetzt werden, die zuvor das Dämmmaterial gefressen und verwertet haben. 
Es geht hier also nicht nur um die umweltfreundliche Beseitigung von problematischen Dämmplattenab­fällen, sondern auch darum das Material wieder in den ­Baustoffkreislauf zurückzuführen.
Dabei wird unter anderem der Mehlwurm­kot als Leichtzuschlag  verwendet, oder als Füller  um Zwickel zwischen den Gesteinskörnungen auszufüllen und als Additiv für Bindemittel, um z.B. dessen Fließeigenschaften positiv zu beeinflussen.

Wirtschaftlichkeit
Die Aufbereitung von zwei Abfallprodukten mit geringem Energieverbrauch ist eine sehr wirtschaftliche Möglichkeit recycelte Baustoffe zu generieren und gleichzeitig den anfallenden Bauschutt an polystyrolhaltigen Wärmedämmverbundsystemen zu bewältigen. Dabei werden Umwelt und Ressourcen geschont, weil große Mengen an CO2 eingespart werden, Müll verwertet statt deponiert wird und primäre Rohstoffe geschont werden können.

Meilensteine
Planerische Umsetzung
Bevor geeignete Bindemittel für das Kot-Gemisch gefunden werden können, muss die Zusammensetzung der Mehlwurm-Ausscheidungen analysiert werden. 
Die Ausscheidungen werden im Labor des Instituts chemisch-mineralogisch untersucht. Die Analysen geben Aufschluss darüber, welche Bindemittel für das Vorhaben geeignet sein könnten. Mit einer größeren Menge an Mehlwurm-Ausscheidungen, welche im Atelier produziert werden, werden nach den ersten Mischversuchen mit verschiedenen Bindemitteln, unter anderem zementfreien Bindemitteln , sog. Geopoly­meren, Ausschei­dungen durch geeignete Pelletierung in Granulat überführt. Beide Produkte werden schließlich hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften am IBP untersucht. Auf die Analysen folgen die ersten Versuche. Geeignete Gemische werden in Form gebracht, während unterschiedliche Mischverfahren getestet werden.

Röntgenaufnahme
Mithilfe der Röntgenaufnahme kann ein 3D Modell angefertigt werden, welches Aufschluss über seine Dichte, Struktur, Anwesenheit von Fremdkörpern, strukturelle Integrität und ­Qualität gibt.

Hyb.Mat.2020.01

Hyb.Mat.2020.01:   Effektiver Umweltschutz: Vakuumierte Pellets binden wirksam EPS-Staub durchsetzten Mehlwurm-Kot und verhindern dessen Ausbreitung in die Umwelt.

Hyb.Mat.2020.01

Vakuumierte Pellets binden wirksam EPS-Staub durchsetzten Mehlwurm-Kot und verhindern dessen Ausbreitung in die Umwelt.

Kotpellets sind das Nebenprodukt einer bildhauerischen Serie, die von Mehlwürmern geschaffen wurde. Während des bildhauerischen Prozesses fressen die Mehlwürmer EPS-Dämmplatten und scheiden sie wieder aus. Die Ausscheidungen vermischen sich mit dem beim Fressvorgang entstehenden Abrieb. Der Staub wird vorerst mit einem beliebigen Bindemittel gebunden und zu Pellets geformt. Dabei entstand die Idee, das Kot-Staub-Gemisch, das in großen Mengen anfällt, als Ressource zu nutzen und wieder in den Baustoffkreislauf einzubringen.

Bei bildhauerischen Arbeiten entsteht eine große Menge Mehlwurm-Kot. Um diesen feinen Kot in Form zu halten, muss er mit einem Bindemittel gebunden werden.
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Text

Hyb.Txt.2023.01

Ein großes Bild:
die Masse, der Schwarm, 

die Anlage und die
Schöpferin

Die Installation HYBRIS von Yana Zschiedrich

Joachim Blank, geboren 1963 in Aachen, lebt als bildender Künstler in Berlin. Seit 2003 lehrt er als Professor für Medienkunst an der HGB Leipzig.

Bildhauerei in ihrer Urform geht immer vom Ganzen aus, nimmt weg, reduziert. Die Mehlwürmer in der Installation Hybris arbeiten ebenfalls subtraktiv. Yana Zschiedrich arbeitet additiv: sie fügt Apparaturen, diverse Materialien mit Mehlwürmern zu einer Installation - ich nenne es ­Anlage - zusammen. In diesem Setting schaffen beide sowohl die Mehlwürmer als auch die Künstlerin unterschiedliche Bilder, die sich zu einem Größerem zusammenfügen.
Abstrakt gesehen, verstehe ich hier ein Bild als etwas, in dem oder durch das wir etwas identifizieren (erkennen) können. Das, was wir glauben zu erkennen, muss nicht zwangsläufig im Bild abgebildet sein. ­Generell: In Bildern etwas zu erkennen, was nicht abgebildet ist und das Abwesende als Bedeutung auszumachen, ist ein Wesensmerkmal der menschlichen ­Kognition. Uns wahrnehmenden Menschen genau solche Erfahrungen zu ermöglichen, verdanken wir den visuellen Künsten. Die herausragende ­Bedeutung von Bildern als eine Kulturtechnik ist, dass im Bild auch ein ­weiteres und darin wieder und wieder ein Bild enthalten sein kann, welches von uns ­gedeutet werden kann. In dieser spezifischen Form ist das eine zu­tiefst menschliche Vorstellungskraft, reale und fiktionale Wahrheiten zu verknüpfen und zwar so, dass wir das mit anderen Menschen, aber wohl kaum mit anderen Lebewesen teilen können. Offenbar gibt es mindestens so viele Wirklichkeiten, wie es Spezies gibt.
Wie erleben wohl Mehlwürmer als Larven des Mehlkäfers ihre Wirklich­keit? Mehlwürmer sind Würmer, die sich offenbar gerne in Mehl aufhalten, also auch in Nudeln, Keksen und anderen Backwaren. Auch gelten sie als gesunde Proteinquelle und werden zunehmend zu einem menschlichen Nahrungsmittel und sind in der EU mittlerweile als Speiseinsekt zugelassen. Dass Mehlwürmer auch Styrodur mögen, ist erst in letzter Zeit wissen­schaftlich erforscht worden. Wie alle anderen Lebewesen transformieren sie etwas Vorhandenes in etwas anderes: Denn auch sie haben einen Stoffwechsel und reproduzieren sich. Bei HYBRIS fressen sie etwas „Schlechtes“ und scheiden etwas „Gutes“ aus: Nicht biologisch abbaubares Styrodur (flammengeschütztes Polystyrol) verwandeln sie in einwandfreien, biologisch abbaubaren Kot. Hatten das die Metabolisten der japanischen ­Architekturavantgarde Ende der Fünfzigerjahre auch schon im Sinn, als sie den Begriff shinchintaisha als Symbol für den essenziellen Austausch von Material und Energie zwischen Organismus und Außenwelt verwendeten? Folgen nun auf die Architektur­utopien der schwimmenden Häuser und Kapselhochhäuser im urbanen Maßstab nun Architekturen mit Fassaden aus Mehlwurmexkrementen?
Die Verwendung von Exkrementen und ihr künstlerischer Mehrwert hatte bereits Piero Manzoni 1961 mit merda d’artista gezeigt, in dem er den ­kürzesten Weg wählte und seine eigenen Exkremente als Künstlerscheiße in neunzig Dosen konservierte, nummerierte und verkaufte. Dreißig Gramm Kot hatte er anfangs für 30 Gramm Gold verkauft. Der Preis hat sich bis heute gesteigert. Kot kann als Kunst hochwertige Ware werden und nicht nur als Dünger.
Aber kann die Herstellung von Kot sowie der Kot selbst in demselben Kontext auch Kunst sein und dann noch ein angesichts der fortgeschrittenen Klimakrise ein globales, eklatantes Umweltproblem lösen? Genau da und nicht weniger setzt HYBRIS von Yana Zschiedrich an.
Aber zunächst … die Ausscheidungen – der Kot, die Exkremente – sie enthalten keinerlei Giftstoffe mehr und sind biologisch einwandfrei abbau­bar. Der Kompost ist also gesünder als das, was ihn erzeugt hat? Kann anorga­nisches Material überhaupt organisch werden? Funktioniert das auch bei Mikroplastik? Ja, auch hier gibt es Hinweise darauf, dass Einzeller-Bakterien künstliche Stoffe offenbar leichter verstoffwechseln als natürliche organische Substanzen, wie zum Beispiel abgestorbenes Pflanzenmaterial.1
In Yana Zschiedrichs Installation und künstlerischem Forschungsprojekt werden Schwärme von Mehlwürmern in einer eigens für sie optimierten Zuchtanlage, in einer geschlossenen Welt gehalten. Hier wird nur gefressen, um zu verdauen und auszuscheiden. Mit der Perfektion einer Maschine erfüllt der Mehlwurmschwarm diese Aufgabe. Und dabei werden Styrodurreliefs produziert, deren Formen die Künstlerin vorgegeben hat und die an griechische Marmorplatten erinnern. Soweit so gut - die Masse folgt zwar hungrig, aber doch nicht bedingungslos. Die Produktion funktioniert nur so lange, wie die Lebensbedingungen optimal sind. Sind sie das nicht, entstehen Abweichungen, die durchaus ihren formalen Reiz haben. Wir nennen diese „Happy Accidents“, jedoch bei größeren Fehlern wie kontinuierlichem Absinken der Raumtemperatur - stockt die Masse. Sie wird träge und stoppt die Produktion! Die Künstlerin ist gefordert, jedem einzelnen Mehlwurm, aber auch dem Schwarm als Masse gerecht zu werden. Die Machtverhältnisse verschieben sich ganz nach den von Elias Canetti in Masse und Macht2 beschriebenen Eigenschaften von „Masse“. Die penible Aufrechterhaltung optimaler Bedingungen bedeutet für Yana Zschiedrich gegen das künstlerische Scheitern zu arbeiten.
Die funktionalen Einheiten der Anlage vermischen sich also immer mit den Bedingungen und den Handlungen der Mehlwürmer und der Künstlerin als eine Art Zeugnis der Gesamtbilanz. Das Gesamtsystem ist nie eindeutig, nie konstant, bleibt fragil, weil die sich verändernden Parameter es immer zwischen Kipppunkten pegeln lassen. Die Mehlwürmer bei HYBRIS reagieren höchst sensibel auf ihre Lebensbedingungen und entsprechend ergebnisoffen sind auch die Bilder, die sie ausfressen. Die Anlage ist die Welt der Mehlwürmer. Auch Künstler*innen reagieren wie Seismographen auf Veränderungen ihrer Welt.
Yana Zschiedrichs Mehlwürmer verstehen die Bedeutung der vorgege­benen Pfade, die sie aus dem Styrodur ausfressen, sicherlich nicht. Denn sie verfügen über andere Sinnfelder3 als wir Menschen – sie können unsere Bilder nicht interpretieren. Das muss aber nicht bedeuten, dass sie nichts empfinden, sondern sie empfinden vermutlich etwas in ihrem Sinnfeld. Wir kennen dies nicht und verstehen nichts. Für die Mehlwürmer ist das sicher auch nicht relevant. Sie wissen nicht, was sie für uns tun, aber sie tun es offenbar gerne für sich: auf Basis ihres evolutionär angelegten Selbster­haltungstriebs. Aber lassen sich nicht genau hier Parallelen zum Kunstmachen finden, immer dann, wenn wir Künstler*innen beim Kunstmachen eine intrinsische Motivation unterstellen? Kunstmachen als eine Praxis, die sich nicht rechtfertigen muss, sondern einfach vollzogen wird, weil es den Drang gibt, es aus innerem Antrieb machen zu wollen?
Alle Elemente der Anlage wie Eimer, Maschinen, Wasserdampf, Farbge­bung und Beleuchtung der Installation, die Auswahl der Bildvorlagen, die als Einschreibungen in die Styrodurplatten vollzogen werden, die vielen Ma­terialtransformationen, das „Nebeneinander“ und „Zusammenspiel“ zwischen Mehlwürmern, Bedeutungen und dem Wollen der Künstlerin – all das führt zur Verschachtelung unterschiedlichster Perspektiven auf HYBRIS und kann als eine vielstimmige Komposition – als ein vielfaches Bild gelesen werden.
Yana Zschiedrich führt mit ihrer drängenden Forderung nach einer naturnahen Materialwelt einerseits und mit ihrer künstlerisch-ästhetischen Praxis andererseits erweiterte Methoden der Beteiligung ein. Als Anwendungsforscherin experimentiert sie mit quasiwissenschaftlichen Methoden, aber als Künstlerin und Architektin kann sie nicht objektiv bleiben. Sie bleibt ebenso wie die Mehlwürmer, eines von vielen mitgestaltenden Subjekten. Sie ist nicht außenstehende Schöpferin. Sie ist nicht Beobachterin dritter Ordnung – sie ist zwar auch nicht Mehlwurm, aber irgendwie trotzdem mittendrin – ein Teil des Schwarms, der Masse und der Anlage.
Mit HYBRIS wird auf den ersten Blick eher nebenläufig und unaufgeregt, aber dennoch beharrlich die Relevanz von bildender Kunst und ihrer ­Methoden in einem forschenden und wissenschaftsnahen Umfeld befragt. Neben dem tiefen Wunsch, ein Umweltproblem lösen zu wollen, geht es hier um eine ästhetische Praxis, der fast alles untergeordnet ist: Entwurf, Auswahl, Setzung und Vermittlung der Apparaturen und als Kontrast die Masse der organischen Würmer sind in ihrer Auswahl nicht ausschließlich funktionalen Aspekten unterworfen. Die gesamte Erscheinung der Anlage wird von Yana Zschiedrich in jeder neuen Version als ein Bild komponiert – funktionale Notwendigkeiten mischen sich mit gezielten ästhetischen Setzungen, die ihrerseits subtile Wirkungsmacht im funktionalen Gesamtsystem entfalten. Die Anlage selbst und die Perspektiven der Meta-Ebene des Gesamtprojekts führen zu einem „Mehr“ als nur in der „In-Der-Welt-Sein“: Zu einem Bekenntnis zum „Involviertsein-In-Der Welt“. Es findet hier eine spezifische Mischform von Erkenntnisproduktion statt. Sie kann sicher auch wissenschaftliche Relevanz haben, die aber Teil einer künstlerischen Arbeit bleibt.
Die Vermischung von funktionalen, ästhetischen, wissenschaftlichen und quasiwissenschaftlichen Elementen zu einer Metaebene formuliert das größere Bild HYBRIS als ein komplexes Projekt, in dem es immer wieder neues zu entdecken gibt, wie bei einem guten Bild. Und selbst wenn die Ver­suchsanordnung Hybris gelingen sollte und kein giftiges Styrodur mehr produziert werden müsste, was würden die Mehlwürmer dann zu fressen bekommen, um ihre gesunden Ausscheidungen zu produzieren?
Die Natur ist zwar generell die Schöpferin aller Dinge, aber die Seele gilt als Schöpferin allen Ausdrucks. Das Ding und der Ausdruck gehören immer irgendwie zusammen. Und da sind wir wieder beim großen Bild: HYBRIS.

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